Die Forderung nach Freude an der Arbeit

«Arbeit muss Freude machen!» Die meisten Menschen stimmen diesem Satz zu und finden ihn wichtig. Ohne Zweifel klingt er plausibel und human. Gerade deshalb möchte ich dazu auffordern, die Sache kritisch zu betrachten und zu Ende zu denken.

Als erstes will ich natürlich schon einräumen, dass es grossartig ist, wenn einem die Arbeit Freude macht. Ich will also, trotz meiner Skepsis, daran keinen Zweifel lassen, dass dort, wo Arbeit Freude macht, ein grosser Fortschritt vorliegt. Es ist ein Privileg, eine Arbeit zu haben, die Freude macht, die interessant ist. Daher sollte man als Manager auch einiges dafür tun, dass die Arbeit möglichst vielen Leuten im Unternehmen Freude machen kann. Soweit die vernünftige Interpretation dieses Satzes.

Problematisch wird die Angelegenheit dann, wenn eine Konsumentenhaltung entsteht, wenn aus einem erstrebenswerten Ziel der vermeintliche Anspruch wird, dass die Arbeit Freude macht. Dann muss man aufpassen und gegensteuer. Ich schlage vor, immer auch folgende Aspekte zu bedenken und den Mitarbeitern klar und unmissverständlich vor Augen zu führen:

Kein Job macht nur Freude
Manche Leute scheinen zu erwarten, dass ihre Arbeit den ganzen Tag und rund ums Jahr Freude machen soll. Aber das ist eine naive Illusion mit vorprogrammierten Enttäuschungen. Man muss froh sein, wenn die Arbeit im Grossen und Ganzen Spass macht, mehr zu erwarten ist unrealistisch. Auch jene Zeiten müssen durchgestanden werden, in denen Arbeit keine Freude macht.

Jeder Job hat unangenehme Seiten
Auch die interessantesten Arbeiten und Tätigkeiten sind mit Dingen verbunden, die einen überhaupt nie freuen können. Es gibt bei jeder Arbeit langweilige und lästige Facetten, die eben auch dazugehören. Selbst Berufe, die zu den interessantesten gehören, wie Orchesterdirigent oder Flugzeugpilot, haben ihre langweiligen Seiten - die Routine, die niemandem Spass macht. Auch den Vorständen in Konzernen macht nicht alles an ihrer Arbeit Freude.

Auch unerfreuliche Jobs erledigen
Selbst wenn wir noch so grosse Fortschritte machen in der Verbesserung der Arbeitsbedingungen, werden wir immer Tätigkeiten haben, die beim besten Willen niemandem Freude machen können: Toiletten putzen, Müll entsorgen und zahlreiche Hilfsarbeiten, die auch Leuten keinen Spass machen, die ganz kleine Ansprüche stellen. Was ich hier sage, gilt aber auch für Tätigkeiten, die viel Können und Ausbildung erfordern. Ich erwähnte schon Dirigenten und Piloten, deren Tätigkeiten ein erhebliches Mass an langweiliger Routine aufweisen. Auch die internationalen Flüge beginnen sich irgendwann zu wiederholen. Und wenn man dieselbe Mozart-Symphonie zum 125. Mal aufführt, dann ist sie für Orchester und Dirigent Routine: immer das Gleiche und kaum mit grosser Freude verbunden.

Noch viel fragwürdiger ist die Maxime, dass Arbeit Freude machen soll, für Menschen, deren Beruf sie täglich mit dem Elend dieser Welt konfrontiert: Flüchtlingshelfer, die nicht wirklich helfen können; Sozialarbeiter, die Drogensucht und Obdachlosigkeit nicht beseitigen können; Ärzte und Schwestern, die oft einen aussichtslosen Kampf führen.

Ist Pflichtbewusstsein altmodisch?
Was sollen diese Leute mit der Forderung anfangen, dass Arbeit Freude oder Spass machen soll? Sie tun ihre Arbeit, weil sie getan werden muss, aus Pflichtbewusstsein. Von Pflichterfüllung hat man in den letzten Jahren immer seltener gehört. An deren Stelle sind Selbstverwirklichung, Lustprinzip und Wehleidigkeit getreten. Pflichterfüllung ist aber unverzichtbar für die Führungskräfte einer Gesellschaft, und ebenso unverzichtbar ist der Mut, sie zu fordern. Es gibt Dinge, die einfach deshalb getan werden müssen, weil sie zu tun sind. Diese Überlegungen zeigen, dass man vorsichtig sein sollte mit der Verallgemeinerung der Forderung, Arbeit müsse Freude machen. Sie greift noch in zwei anderen, sehr wichtigen Punkten zu kurz:

1. Aufmerksamkeit auf Ergebnisse
Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf den falschen Aspekt. Diese Aussage konzentriert die Leute auf die Arbeit statt auf ihre Ergebnisse, auf die Leistung. Aber wo immer Arbeit keine Freude machen kann, können es noch immer Ergebnisse tun. Darauf sollte man die Motivation der Leute lenken. Selbst die niedrigste Tätigkeit kann mit Ergebnissen verbunden sein, über die man Stolz empfinden kann. Zum Beispiel bei einer Toilettenfrau, deren Toiletten die saubersten des ganzen Hotels sind, was hin und wieder auch bemerkt wird. Mein Vorschlag ist also, den Satz «Arbeit soll Freude machen» zu ersetzen durch die Aussage: «Die Ergebnisse sollen Freude machen».

2. Freude an Effektivität vermitteln
Führt nur der Blick auf die Resultate zur Konzentration auf die Wirksamkeit der Arbeit. Noch immer wird ja viel über Arbeitslosigkeit geredet, aber eigentlich sollte man über Leistungslosigkeit reden. Denn neben der hohen Zahl an Arbeitslosen gibt es eine möglicherweise ebenso grosse Zahl von Leuten, die zwar arbeiten, in Wahrheit aber keine Leistung erbringen. Ein wesentlicher Teil der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und der Wirtschaft besteht in unsinnigem Herumschieben von Papier, teilweise aufgrund sinnloser gesetzlicher Vorschriften. So werden die Leute an einer vernünftigen Leistung gehindert. Statt auf Freude am Arbeiten sollte man daher auf Freude an der Wirksamkeit achten. Darin sehe ich eine wichtige Aufgabe von Führungskräften - den Menschen Freude an ihrer Effektivität zu vermitteln und sie unermüdlich darauf hinzuweisen, dass Wirksamkeit Spass machen kann.

Quelle: Prof. Dr. Fredmund Malik