Vorsprung durch Wissen

Die klassischen Standortvorteile der Schweiz spielen im internationalen Wettbewerb eine immer unbedeutendere Rolle. Eine Orientierung an anderen Stärken ist daher gefragt.

Dem Schweizer Arbeitnehmer wird manch gute Eigenschaft nachgesagt. Für seine Friedfertigkeit steht er sogar international in hohem Ansehen. Nicht in seinem Repertoire enthalten ist hingegen die Bereitschaft, freiwillig Verantwortung zu übernehmen. Eine vom GfS Forschungsinstitut durchgeführte Befragung von über 1000 Schweizer Arbeitnehmern bestätigt dieses Manko. Kriterien wie Arbeits- und Unternehmungslust sind keineswegs gefragt. Zu wünschen übrig lässt auch die Freude an der Selbstverantwortung. Hingegen figurieren ideelle Werte wie gutes Ambiente, Wohlbehagen und Menschlichkeit an erster Stelle. Damit allein überlebt die Schweizer Wirtschaft aber kaum!

Falsche Erwartungen
Die Testresultate decken sich mit den Realitäten im Arbeitsalltag. Das bedeutet: die meisten Mitarbeiter warten auf Direktiven des Chefs. Eher gering ist die Zahl jener, die aus sich selbst heraus etwas bewegen wollen. Durch diese Passivität liegt ein ungeheures Potential brach. Denn Ideenreichtum und Kreativität sind in der Regel dort am grössten, wo Probleme anfallen. Nicht beim Chef allein, sondern in allen Bereichen und auf allen Stufen. Das Pendant zur geringen Lust auf Verantwortung ist eine im Test ebenfalls aufgezeigte irrationale Erwartungshaltung. Der Arbeitsplatz soll ein Hort menschlicher Wärme und gegenseitigen Verständnisses sein. Dagegen gibt es so lange nichts einzuwenden, als jeder Einzelne sich für diese Stimmung verantwortlich fühlt und seinen Teil dazu beiträgt. Vielfach wird aber unbewusst dem Chef die Rolle des Stimmungsmachers zugeteilt. Er soll nicht nur führen, sondern auch motivieren. Wer sich jedoch nicht selbst motivieren kann, sucht keine Verantwortung. Ein entscheidendes Hemmnis, wenn das Potential der Mitarbeiter besser ausgeschöpft werden soll. Umgekehrt ist das Verständnis der Unternehmensleitung für diese Zusammenhänge nicht immer vorhanden. Vielfach fehlt die glückliche Hand, wenn es um das Überwinden tödlicher Routine und das Ausschöpfen kreativer Ressourcen der Mitarbeiter geht. Nicht alle sind so erfindungsreich und spendabel wie ein deutsches Unternehmen, das eine Arbeitsgruppe kurzerhand nach New York verpflanzte, weil den Leuten im grauen Alltag ihres Sitzungszimmers der entscheidende Durchbruch in einer wichtigen Angelegenheit nicht gelungen war. Der Kick von Manhattan brachte zusammen mit einem Coach den richtigen Gedankenblitz. Die hohen Kosten zahlten sich hundertfach aus.

Stärken besser ausspielen
Offenbar leisten wir uns zwar einen der weltweit besten Ausbildungsstandards, doch bei der optimalen Nutzung dieses akkumulierten Wissens hapert es. Dies ging so lange gut, als die Schweizer Wirtschaft lediglich gegen Konkurrenten mit ähnlichen Verhältnissen antreten musste. In der sich anbahnenden, weltweit offenen Wirtschaft mit billiger produzierender Konkurrenz könnte sich dies allerdings fatal auswirken. Zusehends steht die Schweiz im Wettbewerb mit Ländern, die mit einem Bruchteil unserer Produktionskosten kalkulieren. In dieser Situation helfen die klassischen Instrumente des Wettbewerbs nicht weiter. Ressourcen wie Maschinenstandorte und Rohstoffe sind allen zugänglich, ja selbst ein Patent schützt nicht vor Nachahmung. Distanzieren lassen sich diese Konkurrenten nur mit unternehmenseigenem Wissen. Damit sind die in allen Unternehmensbereichen und auf allen Hierarchiestufen angesammelten Erfahrungen und Entwicklungen gemeint. Dies können Beispielsweise Produktionstechniken sein, aber auch Managementpraktiken oder eine erfolgreiche Organisationskultur. Weil sehr speziell und unternehmensbezogen, ist dieses Wissen nur schwer transferierbar und kann deshalb auch nicht kopiert werden.

Konsequentes Wissensmanagement
Wissen entsteht überall in einem Unternehmen und nicht allein in der Forschungsabteilung. Mit dieser wichtigen Erkenntnis tut sich manche Unternehmensleitung heute noch schwer. Auch damit, dass sich Vorteile nur einstellen, wenn Wissen systematisch gespeichert und auf Knopfdruck abrufbar ist. Bekannt für den konsequenten Umgang mit Wissen sind internationale Beratungs- und Auditing-Firmen. Die Daten der Kundenaufträge von der Problemstellung bis zum Lösungsweg werden weltweit an einem Ort gespeichert. Bei ähnlichen Fragestellungen muss also das Rad nicht neu erfunden werden. Auch die Wissensträger sind auf diese Weise bekannt. Sowohl Produktivität als auch Ideenreichtum lassen sich dadurch wesentlich steigern. In den meisten Unternehmen bei uns wird Wissensmanagement noch nicht mit aller Entschiedenheit betrieben. Meist ist dies eine Nebenaufgabe für den Marketing- oder Finanzchef. Das einzig Richtige wäre hier ein auf Direktionsebene angesiedelter Wissensmanager. Was verschafft uns den entscheidenden Vorsprung vor der Billigkonkurrenz? Es ist die gezielte Nutzung des Produktionsfaktors Wissen. Auch wenn das Bewusstsein für diese Tatsache steigt, so hapert es häufig an der Umsetzung. Vom Individuum muss deutlich mehr Selbstverantwortung bei der Weiterbildung erwartet werden. Aber auch das Unternehmen soll gezielt Kreativität und Wissensmehrung fördern. Vom Staat schliesslich darf eine bildungsfreundlichere Politik verlangt werden.

Quelle Fritz Haselbeck, Dr. Fritz Haselbeck ist Gründer und Leiter des ZfU, Zentrum für Unternehmungsführung AG, Thalwil - www.zfu.ch