Die Banken sind die Verlierer

Versteht sich als Visionär der Cybergesellschaft: Patrick Dixon. Der Trendforscher Patrick Dixon über die Zukunft von Banken und Börsen, Datenflut und Internet - und wie sie menschliches Verhalten beeinflussen werden.

Autor: Mit Patrick Dixon sprachen Daniel Hug und Philipp Löpfe

Ist die Interneteuphorie am Abklingen?
Das Internet ist voller Überraschungen. Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem das elektronische Netz zu einer ernsthaften Bedrohung für Finanzinstitutionen wird - sogar für die Börsen.

Worauf gründen Sie Ihre Ansicht?
Eine von vier Transaktionen an der New Yorker Börse wird bereits über das Internet abgewickelt. Aber wir stehen erst am Tag eins der digitalen Gesellschaft, am Anfang der Pionierphase.

Wird das Internet also doch das grosse Ding?
Natürlich wird das Netz nicht über Nacht alles verändern. Als die ersten Autos um die Jahrhundertwende auftauchten, geschah noch nicht viel. Erst vier bis fünf Jahrzehnte später begann das Auto, die Gesellschaft wirklich zu verändern. So lange wird es beim Internet nicht dauern.

Im welchen Lebensbereichen erwarten Sie einschneidende Veränderungen?
Ich habe im Oktober prognostiziert, dass die nationalen Börsen in Europa absterben werden - teilweise wegen des Internets. Einige betrachteten dies als Sciencefiction. Zwölf Wochen später haben wir nicht nur die London-Frankfurt-Allianz, sondern auch Paris-Zürich. Wenn die Börsengeschäfte digitalisiert sind, die Händler also nicht mehr dieselbe Luft atmen müssen, gibt es keinen vernünftigen Grund mehr, warum der ganze Börsenhandel in Europa nicht von einem einzigen Server abgewickelt werden sollte.

Das Internet ist doch bloss der elektronische Weg, das Gleiche wie bisher zu tun.
Nein. Wenn Sie etwas virtualisieren, verändern Sie damit den ganzen Prozess. Das Internet wird nicht alles auf den Kopf stellen, aber einige Teile unserer Welt - und einige schneller als andere. Die Banken gingen davon aus, dass die alten, wohlhabenden Kunden das Netz nie gebrauchen würden, weil sie sich auf Vertrauenspersonen verlassen. Sie lagen damit komplett falsch. In London sind die Menschen, die am meisten Zeit auf dem Internet verbringen, über 65 Jahre alt.

Wie muss man sich die Cyberbörse konkret vorstellen?
Die Internetfirma WIT Capital brachte letztes Jahr 41 Unternehmen zum Publikum - ohne den sonst üblichen Börsengang. Das Internet wird für neue Unternehmen zur ersten Quelle von privatem Kapital. Investoren gehen ans Netz, sehen sich das Profil des Unternehmens an - und kaufen die Aktien via Kreditkarte. WIT Capital will im Mai die erste virtuelle Börse eröffnen. Sobald die New Yorker Börse schliesst, werden sie ein Programm starten, das den Handel aufnimmt und beendet, wenn New York am andern Morgen wieder öffnet. Das dürfte besonders für Firmen interessant sein, die nach Börsenschluss eine wichtige Mitteilung bekannt geben wollen.

Was bedeutet das für Europa?
WIT Capital arbeitet mit amerikanischen Onlinebrokern wie E*Trade zusammen und ermutigt diese, entsprechende Geschäfte mit europäischen Brokern zu tätigen. So werden die gesetzlichen Hürden umgangen, die einen europäischen Investor daran hindern, online mit US-Aktien zu handeln. Am Ende wird jeder Europäer 24 Stunden am Tag mit amerikanischen Aktien handeln können. Und jeder Amerikaner wird das Gleiche mit europäischen Papieren tun können. Wir werden uns zu fragen beginnen, wozu die nationalen Börsen noch da sind. Wir werden bald nicht nur eine virtuelle Weltbörse haben, sondern mehrere. Der grosse Kampf heisst: Wer wird zur Microsoft des globalen Aktienhandels?
Sie vergessen, dass das stärkste Bein der UBS die Vermögensverwaltung für Reiche ist. Die Bank kann auf das Vertrauen zählen, das die Kunden ihr entgegenbringen. Genau das fehlt den Internethändlern.
Die Banken haben ein grosses Problem: Sie sind die Hauptverlierer in der Cyberwelt. Wir leben erst am Anfang der digitalen Gesellschaft. Möglicherweise wird der Anleger seinen Berater vor einem wichtigen Investitionsentscheid weiterhin anrufen. Er wird ihn über seine Meinung zu zehn verschiedenen Aktientiteln befragen. Um ihn glücklich zu machen, wird er einen Titel über die Bank kaufen und eine nette Kommission zahlen. Gleichzeitig wird er jedoch den Grossteil über das Netz abwickeln, zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten.

Wie verändert die Cyberwelt das Verhalten der Menschen?
Heute sprechen die Leute davon, online zu gehen. Ich will mehr: Ich will permanent vernetzt sein. Was glauben Sie, was das ist (zeigt auf einen winzig kleinen Mikrochip und eine Nadel)? Nur wenige Leute haben das bisher gesehen.

Ein Chip, den Sie unter Ihre Haut pflanzen?
Ja, das sehen Sie völlig richtig. Hergestellt wird dieser Transponder von der Schweizer Firma Datamars und kostet mich 50 Franken. Dieses winzige Stück enthält ein komplettes Computersystem: Mikroprozessor, Speicher, Transmitter, Empfänger und einen Generator, denn es braucht keine Batterie. Erstmals wurde der Chip in die Swatch Access eingebaut, so dass ein Skilift-Abo gespeichert werden konnte. Das neue Ding hier hält meinen Namen, Passnummer, E-Mail-Adresse und etwa den Stand meines Bankkontos fest. Im Jahr 2030 werden wir permanent von Just-in-time-Information umgeben sein.

Sie haben die Frage noch nicht beantwortet, wie die Cyberworld das soziale Leben verändert. Ihr Sohn kauft heute schon alles über das Netz, er muss das Haus gar nicht mehr verlassen.
Kürzlich verbrachte ich eine sehr anstrengende Woche. An einem Tag waren drei verschiedene TV-Stationen bei mir zu Hause. Am Ende der Woche sagte ich zu meiner Frau: Ich habe das Haus seit Sonntagabend nicht mehr verlassen. Ich schaue durchs Fenster und sehe, dass mehr als die Hälfte meiner Nachbarn inzwischen Tele-Worker sind.

Was bedeutet das für die Beziehungen?
Es hat meine Ehe gestärkt, ich sehe meine Kinder öfter. Virtuell arbeiten heisst, dass ich mit meiner Familie zusammen sein kann, obwohl ich gleichzeitig für verschiedene Zeitzonen arbeite.

Wie wirkt sich das auf die menschlichen Beziehungen aus?
Wenn Sie alles in Ihrem Leben gleichzeitig ändern - Ihren Lebenspartner, Ihren Wohnsitz, Ihre Arbeitsstelle, Ihre Mutter stirbt, Ihr Bruder ist krank -, dann laufen Sie Gefahr, einen Nervenzusammenbruch zu erleiden und psychiatrische Hilfe zu benötigen. Und meistens hat es mit einer Häufung dieser Veränderungen zu tun.

Ihr Rezept?
Wenn Sie den Wandel verkraften wollen, müssen Sie in Dinge investieren, die sich nicht ändern. Das ist eine simple Überlebensstrategie. Wenn sich in der Arbeitswelt alles wandelt, wird alles Stabile extrem wichtig.

Patrick Dixon
Der 42-jährige Patrick Dixon ist Direktor des Trendforschungsbüros Global Change Ltd. in London. Sein Buch "Futurewise" ist 1998 im Verlag Harper Collins erschienen. Er berät eine Vielzahl von internationalen Unternehmen - unter anderem führende Schweizer Banken.