Die Entwicklung der Dienstleistung zum Produkt

Dienstleistungen werden noch nicht in voller Breite als kundenorientierte Produkte entwickelt, gemanagt und vermarktet. Insbesondere mangelt es bisher an Vorgehensweisen und Methoden zur Dienstleistungsentwicklung. In den nachfolgenden Zeilen erhalten Sie einen Einblick in die wesentlichen Punkte der Wirtschaftsentwicklung und Ansatzpunkte zur Bildung und Nutzung von künftigen Dienstleistungen. Der Text ist eine Zusammenfassung (Quelle Computerworld 1998) und lehnt sich an die Dienstleistungsstrategie des modernen Dienstleistungsmanagements.

Das methodische Thematisieren IT-basierender Dienstleistungen hat wenig Tradition im deutschsprachigen Raum. Anders ist dies im anglo-amerikanischen Raum, wo seit 25 Jahren Service Engineering und Management an Ausbildungsstätten und in der Industrie systematisch weiterentwickelt und eingesetzt werden. Dies ist wahrscheinlich auch der entscheidende Grund, warum meistens amerikanische Unternehmen als beispielhaft in ihren Marktsegmenten gelten und die amerikanische Gesellschaft in dieser Hinsicht als gewisses Vorbild für Europa bezeichnet wird.

Vom Dienen und Leisten
Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft ist für die heutigen Industrienationen verlockend, denn Innovation und neue Produkte in sich globalisierenden Dienstleistungsmärkten eröffnen immense Wachstumschancen und damit auch "Wohlfahrtschancen" für Europa. Dienstleistungen bleiben in den nächsten 50 Jahren die grosse Hoffnung für Europa. Das Wachstum im materiellen Güterbereich wird immer wieder an natürliche Grenzen stossen. Traditionelle Modelle, die aus dem erhöhten Einsatz von Kapital, Arbeit und Boden Wachstum fördern wollen, sind deshalb zu ergänzen durch Bereiche, in denen Innovation und immaterielle oder an Produkte gekoppelte Dienstleistungen ein sogenanntes Idea Driven Growth - einfallsgesteuertes Wachstum - erzeugen. Wenn wir heute in der Wirtschaft breiteres Wachstum (und nicht nur punktuelles Wachstum) bei einzelnen Firmen antreffen, so zumeist in kleineren Unternehmungen oder Neugründungen, und dies insbesondere im Dienstleistungssektor.

Die Kundenorientierung
In den 80er Jahren stellte man den Kunden und die Beziehung zum Kunden in den Mittelpunkt von Managementtheorien und machte Kundenorientierung zu einem Leitthema der Unternehmensführung. Parallel dazu wurde der Begriff der Qualität stark ausgeweitet und zum Zentrum operativer Vorgehensweisen für die Produkteentwicklung gemacht. Ausdrücke wie Total Quality Management, Prozessqualität sowie Zertifizierungen und Qualitätspreise wurden etabliert. Verschiedene Methoden zur Qualitätsentwicklung von Produkten wurden implementiert. Weiterhin begriff man die Wichtigkeit der Verkürzung der Durchlaufzeiten, und es wurden dabei sogar noch Qualitätsverbesserungen erzielt. Dies ging einher mit einer hohen Kostendisziplin, so dass das magische Dreieck Qualität, Zeit und Kosten oftmals in allen drei Dimensionen gleichzeitig optimiert werden konnte. Auf dieser Basis begannen die Unternehmen, sich systematisch zu vergleichen. Als Ziel wurden Exzellenz und Führerschaft formuliert. Unternehmen, die sich diesen Herausforderungen nicht stellten, verloren rapide an Wettbewerbsfähigkeit.

Auch in der IT-Industrie waren entsprechende Entwicklungen zu verzeichnen, wobei es in den 80er Jahren noch wenig reife Unternehmen in dieser Branche gab und die Strukturen in der Industrie sich massiv (zum Nachteil der Europäer) veränderten und globalisierten. So brachten die 80er Jahre für Europa als Entwicklungs- und Produktionsstandort in diesem Bereich drastische Einbrüche, wobei die Stärke Europas als Absatzmarkt uns noch vor dem Schlimmsten bewahrten. In den Vereinigten Staaten wuchs eine "erwachsene" IT-Industrie heran, die den generellen oben skizzierten Entwicklungen folgte. Auch hier setzte sich ein Prozessdenken durch. Kundenorientierung wurde praktiziert, und die Industrie wechselte von einer technikgetriebenen Strategie zumindest teilweise zu einer kundenorientierten. Einher damit gingen Reifegradmodelle, Prozessmanagement, Qualitätsmetriken und Zertifizierungsbemühungen. Auch erhöhte sich der Dienstleistungsanteil in der Wertschöpfung. Der starke Aufschwung der Kommunikationstechnik ab Mitte der 80er Jahre und die damit verbundenen hohen Wachstumsraten für IT-Dienstleister trugen ihr übriges zu dieser Entwicklung bei.

"Dienst-Leistung"
Obwohl das Wortspiel Dienstleistung - Dienen und Leisten - berechtigt ist, gilt es einen wesentlichen Fehler in diesem Zusammenhang zu vermeiden. Exzellenz bei Dienstleistungsprodukten heisst nicht, den Kunden jeden Wunsch von den Augen abzulesen - und dies noch kostenlos. Es heisst auch nicht, die Mitarbeiter darauf zu trainieren, dass sie durch Gewaltseinsätze ein falsches oder unvollständiges Servicedesign kompensieren. Auch heisst es nicht, dass Dienstleistungsprozesse für eine kundenorientierte Qualität Kosten produzieren können oder gar müssen. Eine solche Haltung ist vielmehr Ausdruck dafür, dass ein professionelles Service Engineering nicht geleistet wird. Im Dreieck zwischen Mitarbeiteransprüchen an das Unternehmen, Shareholder-Value und Kundenzufriedenheit parallel zu optimieren. In das Designmodell einer neuen Dienstleistung fliessen von Anfang an Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und Positionierungen gegenüber dem Wettbewerb ein. Erst ein professionelles Servicekonzept mit dem Service Engineering lässt wirtschaftlich zuverlässiges Verhalten von Dienstleistungsprodukten am Markt erwarten.

Service Engineering als Reaktion auf veränderte Rahmenbedinungen

  • Deregulierung von Dienstleistungsmärkten
  • Globalisierung von Dienstleistungsmärkten und Konkurrenz durch "best-of-class"-Unternehmen - auch in angestammten Märkten
  • Suche nach ergänzenden Dienstleistungsprodukten aufgrund eines schwächer werdenden Kerngeschäfts
  • Knapper werdende interne Ressourcen für Forschung und Entwicklung
  • Erhöhte Qualitätsansprüche durch Dienstleistungs- und Produktehaftung
  • Notwendigkeit von "first-hi-right"-Dienstleistungen

Typische Merkmale nicht professionalisierter Dienstleistungsentwicklung

  • Unklare Zuständigkeit aufgrund historisch gewachsener Aufgabenzuordnung
  • Kunden- und marktorientierte Entwicklung nicht garantiert
  • Schwankende Qualität von Produkten und Prozessen
  • Wenig Wirtschaftlichkeitseffekte durch mangelnde Standardisierung sowie unzureichender Methoden- und Werkzeugeinsatz
  • Zu komplexe Dienstleistungsprodukte - nicht entwickelbar
  • Kein systematisches, organisatorisches und organisches Lernen

Ein Beispiel: NEUPOSITIONIERUNG EINER SOFTWAREFIRMA IM DIENSTLEISTUNGSMARKT

Die IST-Analyse 1998

  • Hohes Marktwachstum (ca. 20 % pro Jahr) für "technischen Service"
  • Besonders hohes Marktwachstum im Client/Server-Bereich
  • Starke Konkurrenz durch kapitalstarke "Vollsortimenter" im Stammmarkt (DB)
  • Markteintritt eines neuen Wettbewerbers
  • Aggressives Marketing der Konkurrenz
  • Vielfältige Probleme mit bisherigem Serviceangebot (Differenzierungsgrad, Vertriebskonzept, Kundenorientierung mit Kundendatenbank, Mangel an Marketing- und Dienstleistungs-Management-Vehalten)

Die Marketingansätze

  • Gleichstellung der Dienstleistungen - Hardware, Software, Serviceleistungen und Dienstleistungen
  • Unterstützung des Management zur Definition der Dienstleistungs- und Serviceorientierung
  • Modulare und synergische Gestaltung, Ergänzung und Abgrenzung der einzelnen Leistungen und Module
  • Beachten der Customer Relation-Shipentwicklung
  • Innovative und integrale Marketingkommunikation
  • Imagewandel vom Technologielieferanten zum Lösungslieferanten, sprich Dienstleistungsunternehmer

Die Zieldefinition: Reengineering der technischen Serviceleistungen

  • Aktives Service Branding durch Serviceintegration und Markenname
  • Entwicklung gestaltbarer, skalierbarer und rechenbarer Serviceleistungen
  • Modularer Aufbau des Leistungsportfolios
  • Zentrale Adressierung der Kunden: Technisches Service Center, Center für Kundenberatung etc.
  • Management der Kundendaten (betreuungsrelevante Daten)

Ziele: Effiziente Nutzung aller Unternehmensressourcen, Ausschöpfung aller Wachstumspotentiale, Integration in Hauptvertriebsstrategie, Etablierung einer Servicemarke

Nutzenkategorie eines Dienstleistungsunternehmens

KUNDENORIENTIERUNG

  • Gezielte Einbeziehung der Kunden
  • Aktive Bindung von Stammkunden
  • Systematische Marktanalysen
  • Gewinnung von Neukunden
  • Kunden-Mitarbeiter-Interaktion

INNOVATIONSKRAFT

  • Verfolgung der Innovationsstrategie
  • Strategische Dienstleistungs-Portfolien
  • Verkürzung des "time-to-Market"
  • Erhöhte Erfolgswahrscheinlichkeit
  • Aktives Wissensmanagement

WIRTSCHAFTLICHKEIT

  • Standardisierung
  • Methoden- und Werkzeugeinsatz
  • Systematische Variantenbildung
  • Erhöhte Leistungserbringung
  • Lerneffekte

QUALITÄT

  • Definition von Prozessen
  • Dienstleistungsprodukte als Spezifikationen messbar
  • Qualifizierung der Mitarbeiter
  • TQM, Zertifizierung und TMQ


In welcher Situation befinden sich die Anwender?

Eine methodisch fundierte Vorgehensweise zur Entwicklung neuer Dienstleistungen muss den Anwender bei seiner spezifischen Problemsituation unterstützen. Dabei lassen sich über hochvolumige IT-Dienstleistungen hinaus Problemsituationen unterscheiden, die sich aus unterschiedlichen Innovationsstrategien eines Unternehmens ergeben:

  • Eine grossvolumige Dienstleistung mit hohen Investitionen wird für einen schon existenten Markt entwickelt. Die Dienstleistung oder der Dienst muss ab der Markteinführung den vollen Leistungsumfang in voller Qualität erreichen.
  • Eine grossvolumige Dienstleistung mit hohen Investitionen mit starken Alleinstellungsmerkmalen wird für einen sich vergrössernden Markt entwickelt. Das Produkt ist für längere Zeit am Markt und wird in verschiedenen Versionen, die jeweils inkrementelle Leistungs- und Qualitätsverbesserungen aufweisen, entwickelt.
  • Es wird ein Dienstleistungsprodukt mit überschaubarem Investitionsrisiko für einen sich entwickelnden innovativen Markt geschaffen.
  • Es werden intelligente Dienstleistungsprodukte aufgebaut und am Markt eingeführt.
  • Es wird ein sogenanntes hybrides Produkt aus Hardware, Software und Dienstleistungen am Markt plaziert.
  • Es wird nicht primär ein neues Produkt entwickelt; vielmehr wird auf existierende Dienstleistungskomponenten - oder auf solche, die allerdings gar nie dafür in Betracht gezogen wurden, zurückgegriffen. Daraus wird ein neues Produkt geschaffen und am Markt plaziert.
  • Für ein bestehendes Produkt wird ein Reengineering durchgeführt.