Mitarbeitende der Zukunft

Prof. Dr. Christian Scholz, Lehrstuhl für Organisation, Personal- und Informationsmanagement, Universität Saarbrücken.

Zusammenfassung Vortrag 12. März 2002, Basel

Neue Unternehmen - neue Mitarbeitende: Darwiportunismus als globales Phänomen!
Dass die Welt sich geändert hat, laufend ändert und sich noch weiter ändern wird, ist eine triviale Tatsache. Stichworte wie Globalisierung, Flexibilisierung, Individualisierung, Virtualisierung oder Variabilisierung sind in aller Munde. Diese Veränderungen betreffen die Unternehmen ebenso wie die Mitarbeitenden. Vor diesem Hintergrund ist das Zusammenspiel zwischen neuen strategischen Vorgaben der Unternehmen und verändertem Wertesystem der Mitarbeiter von besonderer Bedeutung.

Vor allem das Zusammentreffen der beiden Entwicklungen wird zu einer echten Herausforderung für das Personalmanagement!

Die eine Bewegung ist der zunehmende Darwinismus. Gemäss dem evolutionären Paradigma des «survival of the fittest» bestehen im Wettbewerb nur die Unternehmen, die sich an externe und interne Rahmenbedingungen am besten anpassen. Hier greift das strategische Management mit aller Macht. Darwinismus bezieht sich nicht nur auf den Kampf zwischen Unternehmen: Vielmehr institutionalisieren Unternehmen auch im Innenverhältnis immer mehr derartige Systeme - zumeist legitimiert durch «Markterfordernisse».

Im Gegensatz dazu folgt die zweite Bewegung im Darwiportunismus einer individuellen Handlungsannahme, nämlich dem Opportunismus: Individuen handeln so, dass ihr eigener Vorteil im Mittelpunkt steht. Jeder ökonomische Akteur ist danach bestrebt, seinen Nutzen zu maximieren. Diese Verhaltensweise ist weder von vornherein gut noch schlecht, sondern eine natürliche Eigenschaft von Menschen, vor allem eine Eigenschaft, die zunehmend das Verhalten der Mitarbeitenden prägt.
Zusammengesetzt ergibt sich aus beiden Komponenten der Darwiportunismus, bei dem der systemimmanente Darwinismus im Wirtschafts- und Geschäftsleben auf den individuellen Opportunismus des nutzenmaximierenden Mitarbeiters trifft.

Opportunismus und Darwinismus sind nicht immer gleich hoch ausgeprägt. Dies führt im Ergebnis zu vier typischen Konstellationen:

Falsche Personalarbeit wird teuer. New HRM als strategische Antwort: Welche Ansprüche der Mitarbeitenden kann und darf das Unternehmen gegenwärtig erfüllen?
Kommt es zu einem unkontrollierten Darwiportunismus im Unternehmen, so schaukeln sich wechselseitig Darwinismus und Opportunismus auf. Und spätestens dann wird (die falsche) Personalarbeit teuer:

  • Zunehmende Fluktuation (im Regelfall bei den falschen Mitarbeitern)
  • Nicht besetze Stellen (oder noch schlimmer: falsch besetzte Stellen)
  • Krankenstand
  • De-Motivation
  • Mobbing/Intrigen etc.
  • Defizite in der Kommunikation

sind nur einige der Probleme, mit denen sich Unternehmen und Mitarbeiter herumschlagen müssen. Dass sich daran dann auch noch Diskussionen um den «Stellenwert» von Personalabteilung und Personalarbeit entzünden, ist zwar oft ärgerlich, liegt aber nahe.

Gesucht ist ein «New HRM», das in der Lage ist, das Phänomen des Darwiportunismus sinnvoll anzugehen. Zielsetzung dabei kann es nicht pauschal sein, Darwinismus und Opportunismus auszuschalten. Ein solches Ziel ist nur einer der Fehler, den Unternehmen häufig begehen. Andere Fehler sind:

  • Unzureichende Analyse der Ist-Situation
  • Irrglauben, dass es in einer Rezession keinen Opportunismus gibt
  • Verleugnen vom Darwiportunismus («Bei uns gibt es so etwas nicht», «Meine Mitarbeiter arbeiten gerne und loyal bei mir»).

Ebenfalls häufig wird übersehen, dass sich Darwiportunismus nicht nur auf Jüngere und nicht nur auf «high potentials» bezieht!

Ziel ist also eine klare Darwiportunismus-Strategie.

  • Schritt 1 = klare Bestandsaufnahme, beispielsweise über eine themenzentrierte Mitarbeiterbefragung!
  • Schritt 2 = Festlegung eines Zielpunktes in der Darwiportunismus-Matrix!
  • Schritt 3 = Kommunikation dieses Zielpunktes nach innen (z.B. Personalführung) und nach aussen (z.B. Bewerbergespräch)!
  • Schritt 4 = Abstimmung der personalwirtschaftlichen Instrumente.

Ziel dieser Aktion ist es, auch und gerade im Darwiportunismus das Unternehmen als sinnstiftende Identität zu schaffen - und dies ganz bewusst trotz Darwiportunismus.

Auf diese Weise kann das New HRM Hilfestellung leisten bei

  • Akquisition
  • Selektion
  • Motivation
  • Kompensation und
  • Retention («Erhaltung»)

von Mitarbeitern.

Ein Teilaspekt dieser Darwiportunismus-Strategie ist die «Employee Value Proposition» als unternehmerisches Alleinstellungsmerkmal.

Wie schafft man eine zeitgemässe Employee Value Proposition?
«War for talent» charakterisiert die Situation, in der sich Unternehmen um die viel zitieren «Young Professionals mit Führungspotential» prügeln. Ähnliches gilt für viele andere Qualifikationsgruppen, wo es massive Engpässe gibt. Gleichzeitig fällt es den Unternehmen immer schwerer, die Leistungsträger an das Unternehmen zu binden, da diese interessante Chancen auch in anderen Unternehmen sehen. Die Akquisition von neuen Mitarbeitern sowie Motivation und Retention von gegenwärtigen Mitarbeitern hängt vom perzipierten Austauschverhältnis ab. Was leiste ich als Mitarbeiter? Und was bietet mir das Unternehmen?

Letzteres wird mit «Employee Value Proposition» (EVP) beschrieben und drückt in Analogie zum Produktmarketing eine ganzheitliche Ansprache des (potentiellen bzw. aktuellen) Mitarbeiters aus.

Ein Unternehmen kann seine EVP durch drei Aktivitäten stärken:

  • Besonders wichtig ist das personalwirtschaftliche Branding. Gerade weil Unternehmen in der Perzeption zunehmend ähnlich wirken, müssen sie dringend eine Markenidentität entwickeln. Der formale Aspekt davon bezieht sich auf die Darstellung im Sinne von Einheitlichkeit und Unverwechselbarkeit. Hier geht es um konsistente Farben, Schrifttypen, Symbole, Bilder, gleichzeitig aber auch darum, alles wiedererkennbar und deutlich anders zu machen als die Konkurrenz.
  • Zur EVP gehört auch das Tätigkeitsfeld, ausgestattet mit Autonomie, Selbständigkeit und herausfordernden Tätigkeiten. Oft nimmt aber gegenwärtig der Verantwortungsbereich zu, gleichzeitig der Gestaltungsspielraum ab. Immer häufiger wird auch Personalentwicklung gewünscht, wobei aber die Verantwortung für Karriere, Laufbahnplanung und persönliches Fortkommen in den Verantwortungsbereich des Einzelnen rückt. Dies bedeutet Schaffen von adäquaten Lernwelten. Eng verknüpft damit ist die Arbeitszeitgestaltung. Sie spiegelt den Trend zur Verzahnung unternehmerischer Interessen mit individueller «Lifestyle-Gestaltung».
  • Schliesslich bedeutet EVP auch eine angemessene und zunehmend leistungsorientierte Entlohnung. Dazu gehört das offensive Verwenden des «hot skill bonus» (variabler Zuschlag für besonders gesuchte Qualifikationen) ebenso wie das Verschieben von fixen zu variablen Bezügen.

Egal ob sich die Mitarbeitenden durch altruistische Loyalität auszeichnen oder pure Egoisten sind: Im Darwiportunismus brauchen beide eine klare Aussage, warum es für sie Sinn macht, im betreffenden Unternehmen zu arbeiten. Also: Ohne eine EVP wird jedes Unternehmen Probleme bekommen (oder bereits haben).

Ein (kleines) Hilfsmittel zum Kommunizieren der EVP ist der Internet-Auftritt des Unternehmens: Vergleicht man allerdings diese Webseiten im Hinblick auf

  • Content
  • Usability
  • Branding und
  • Emotion,

so legt eine derartige Bewertung anhand der sogenannten Cube-Formel eklatante Defizite bei den Unternehmen offen!

Wie erreiche ich Wertschöpfung durch Personalarbeit?
«Primäres Ziel des Personalmanagements ist die Wertschöpfung!» Dieser Satz ist nicht neu und im Regelfall mit dem Hinweis auf die schwere Messbarkeit der Personalarbeit oder deren abhängige Zulieferfunktion beantwortet. Trotzdem: Wie erreiche ich denn nun eine Wertschöpfung durch Personalarbeit?

Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurde die MO-5-Wertschöpfungskette für erfolgreiche Personalarbeit entwickelt. Sie zeichnet sich zum einen durch bewusstes Abstellen auf fünf wertschöpfende Elemente aus:

  • Alleinstellung
  • Talentoptimierung
  • Führungserfolg
  • Schnelligkeit
  • Varietätsbewältigung

Diese fünf Elemente beschreiben das «Was», also die Inhalte der Personalarbeit. Für das «Wie» gibt es - in Anlehnung an die Institutionenökonomie von Williamson - in der MO-5-Wertschöpfungskette zwei Vorschläge:

  • Einerseits kann man Ordnung über Marktmechanismen herbeiführen. Durch das Ausnutzen von Marktmechanismen werden Realisierungsalternativen gemäss dem Prinzip von Angebot und Nachfrage ausgehandelt. Wird das Erreichen der Ziele auf diesem Weg angestrebt, entstehen im Unternehmen beispielsweise Kernkompetenzmarktplätze oder Qualitätsmarktplätze.
  • Andererseits kann dies über Organisation realisiert werden. Hier wird strikt von einer Instanz bestimmt und vorgegeben, was zu tun ist. Die untergeordneten Organisationsmitglieder haben diesen Anweisungen Folge zu leisten. Weisungsbefugnisse und Befehlshierarchien sind klar definiert.

Dies bedeutet, dass man jedes einzelne der fünf Felder auf zwei ganz unterschiedliche Arten wertschöpfend ausgestalten kann, wobei sich beide Arten ergänzen. Für das Element «Talent» kann man auf diese Weise Entwicklungspfade vorgeben («Organisation») und/oder Marktmechanismen installieren.