Versickerte Ideen und unausgewertete Projekte

Nach den massiven Abspeckübungen der letzten Jahre entdecken Unternehmen jetzt, dass sie auch mit weniger Speck auf den Rippen noch nicht alle anderen abhängen. Alle stehen nun schlank, um nicht zu sagen ausgezehrt da und versuchen leicht keuchend den Kunden anzulächeln. Nur: "Totale Qualität", "Kundenorientierung" und Schnelligkeit sind heute im internationalen Wettbewerb Basics. Es reicht aber nicht, um sich in unserer Wissensgesellschaft nachhaltige Vorsprünge zu erzielen. Dies passiert immer mehr mit Intelligenz, mit der für den Kunden einzigartige Leistungen und Lösungen angeboten werden, darauf kommt es an. Die Unternehmen sind randvoll mit Intelligenz. Aber vielerorts scheint man sich an "die Normalität des Ungenutzten" zu gewöhnen - oder zu resignieren. Die meisten Manager schätzen, dass ihr Unternehmen nicht mehr als 20 bis maximal 30 % des im Unternehmen vorhandenen Know Hows tatsächlich nutzt. Was würde passieren, wenn man dies nur um 10 % steigern würde?

Wie viel Wissen liegt in den versickerten Ideen der Mitarbeiter oder wird Opfer der internen Konkurrenz? Wie viel wird mit unausgewerteten Projekterfahrungen verschleudert? Wie viel steckt in jahrelang eingespielten Gruppierungen, die gerade reengineert und auseinander gerissen werden? In wie vielen Unternehmen müssen Mitarbeiter erheblich dümmer erscheinen als ihre Vorgesetzten, "des Friedens zuliebe". Eitelkeit war eben schon immer etwas teurer. So manche Struktur und Kultur ist für die "Wissenslogistik" hinderlich und kann regelrecht in eine Borniertheit von Organisationen führen. Das hat seinen Preis - und der wird immer höher.

Was ist zu tun? - Wissen, das unbekannte Wesen
Unternehmen müssen mehr wissen über den seltsam ungreifbaren Stoff Wissen, der sich z.B. im Gegensatz zu anderen Produktivfaktoren bei Gebrauch vermehrt. Meist wird angenommen, dass das Wissen nur in den Köpfen der Mitarbeiter steckt. Dabei wird das Wissen, das auch in Systemen, Routinen und Prozeduren sowie in den Strukturen und der Kultur des Unternehmens liegt, übersehen. Intelligentes Personal führt nicht zwangsläufig zur intelligenten Organisation. Universitäten sind ein Beispiel. An der Intelligenz der Professoren sei hier nicht gezweifelt. Aber die Schwerfälligkeit des universitären Systems, alte Zöpfe und vieles anderes verringert die Möglichkeiten des Personals. Die Organisation als Ganzes erweist sich als wenig intelligent. Umgekehrt sieht das bei McDonalds aus. Durch ein ausgeklügeltes System von Abläufen, Prozessen und Mitarbeiterunterweisungen kann das Unternehmen seinen Hamburger-Standard von Moskau über Peking bis Miami gleich gut und schnell einführen und durchhalten. Es ist nicht die Intelligenz der mehrheitlich jungen, oft nur angelernten und vielfach rasch wechselnden Mitarbeiter, sondern es ist das System, welches die konstante Qualität weltweit liefert. Darüber hinaus gibt es neben systematisiertem und dokumentiertem Wissen in Büchern oder Expertensystemen, jenes Wissen, das Gruppen in ihren Alltag praktizieren, ohne es genau beschreiben zu können und ohne sich dessen voll bewusst zu sein. Es ist ein "stilles" oder verdecktes Wissen, das ein meist grosses, ungenutztes Potential birgt.

Strategisch relevantes Wissen definieren
Was müssen wir in Zukunft können um unsere Ziele zu erreichen? Welche Kompetenzen müssen wir heute entwickeln oder aquirieren, (und welche nicht bzw. können wir aufgeben) um einen signifikanten Anteil an den sich in Zukunft ergebenden Möglichkeiten zu gewinnen. Hewlett Packard beispielsweise verfügt über die drei Kompetenzfelder Computer, Kommunikation und Messung. Die Frage, welche Möglichkeiten in der Verbindung dieser Kompetenzen liegt, führte zum sogenannten HP = MC2 Council (M steht für Measurement, C2 für Computing and Communication). Es hat in der Folge eine Reihe von marktkreierenden Produkten entwickelt, die auf die Entstehung milliardenschwerer Märkte abzielen. Digitalisierte Messsysteme, computerisierte Diagnostiksysteme oder Video-Home-Printer, die es dem Couch-Potato erlauben, sich Bilder aus dem laufenden Fernsehfilm auszudrucken, so dass er seinen Liebling nicht nur am Schirm, sondern auch noch überm Bett bewundern kann, sind schon auf dem Markt.

Wenn wir wüssten, was wir wissen
Wo sind die relevanten Wissensressourcen, unternehmensintern oder -extern? Wo schlummert was? Knowledge maps, prototyping,"yellow pages", virtuelle Laboratorien u.a. sind wirksame Instrumente, die vielen "Inseln des Wissens" zu verbinden, damit Wissen entwickelt werden kann und zur richtigen Zeit am richtigen Ort wirksam ist. Die für eine grenzenübergreifende Zusammenarbeit notwendige Technologie, ist da.

"errotic" muss ins Unternehmen einziehen
Das für die Entwicklung neuer Software förderliche Umfeld zu organisieren und zu managen wird zur wichtigsten Aufgabe. Einen neuen Werkstoff zu entwickeln, darin liegen die Zukunftsmöglichkeiten (wenn sie nicht verschlafen werden) und nicht nur in der Produktion von Schrauben. Aber wie? Wollen Unternehmen der neuartigen Komplexität von "Wissen" gerechter werden, so müssen sie sich teilweise zu "Labs" wandeln. Was passiert dort? In erster Hinsicht wird leidenschaftlich nach Neuem gesucht, experimentiert, ausprobiert, getestet, denn Wissen entsteht vor allem aus Versuch und Irrtum. Es werden Versuche mit Disziplin geplant und durchgeführt, die Ergebnisse, seien es Erfolge oder "Misserfolge", reflektiert, Vorstellungen getestet und Prototypen gebaut bzw. simuliert um Ideen zu verbildlichen und fassbar zu machen. So manche bahnbrechende Innovation war ein unerwartetes Ergebnis, ein vermeintlicher flop, der jedoch, da richtig erkannt, zu neuen lukrativen Möglichkeiten führte. Nicht nur Penicillin oder Valium, sondern auch das von den Schreibtischen nicht mehr weg zu denkende Post it oder der Walkman.

Das Selbstverständnis des Unternehmens als Lab ermöglicht eine andere Sicht auf ihren Alltag. Während der "Praktiker" bislang meist glückliche, unbeeinflussbare Zufälle sieht -oder auch nicht-, die er ausnutzen kann (wenn er weiss wie), sucht und erkennt der "Experimentierer" neue Gesetzmässigkeiten. Es entsteht eine Dynamik der "Errotic", Ueberraschungen und "Fehlern" werden attraktiv (statt "Bloss keine Experimente!") und somit unternehmerische Kreation. Es gedeiht der Nährboden für das, wonach sich alle Unternehmen sehnen: das Neue. Wohlgemerkt: dies hat nichts mit " fröhlichem Chaos" zu tun, wenn auch die aufkommende Freude, Neugier und Passion nicht schadet.

Was nicht zählbar, ist zählt nicht?!
Das heutige Finanz- und Rechnungswesen hat die Relevanz des Wissens(kapitals) noch nicht genügend erkannt. Nur Ausnahmen wie Skandia, eine schwedische Versicherungsgruppe, haben differenzierte Kennziffern dafür entwickelt. Die real existierende Marktverhältnisse sind da schon weiter, wie uns die Börsenwerte vieler wissensintensiver Firmen wie SAP, Microsoft, oder Phonak berichten. Deren Höhe basiert nicht auf den materiellen assets, sondern auf deren Wissen. Es wird erwartet, daß es auch in Zukunft fette Gewinne ermöglicht.

Solange der Faktor Wissen nicht als Navigator in den Reporting- und Controllingsystemen integriert wird, solange erhält er nicht die notwendige Aufmerksamkeit des Managements. Aus dem Auge, aus dem Sinn. Er wird bei Managementscheidungen praktisch automatisch ausgeblendet. Und das obwohl er für die Zukunft des Unternehmens so wichtig ist. Vermeintlich zukunftsorientierte Entscheidungen orientieren sich an einem vergangenheitsorientierten Navigationssystem. Der für die Wissens-Aera relevante "ROK" - Return on Knowledge - gelangt eher zufällig ins Blickfeld. Die Gefahr ist offensichtlich: Der Vergangenheit wird Geld nachgeworfen und die Zukunft wird ausgehungert.

Von Betty Zucker