Wissen beginnt mit Zuhören

Information und Kommunikation werden auch nach der Jahrtausendwende zwei der wichtigsten Bausteine in einer global vernetzten Wirtschaft sein. Wirklich oder nur vermeintlich?

«Du meine Güte», sagt der berühmte Schauspieler am Ende eines langen Abends zu seinem Gegenüber, «jetzt habe ich die ganze Zeit über mich geredet. Nun sind Sie aber dran. Sagen Sie, wie fanden Sie meinen letzten Film?» Der Witz mag alt sein, aber er illustriert hervorragend ein Missverständnis von globaler Auswirkung. Die 90er Jahre werden als Beginn der «Informationsgesellschaft" gesehen, die uns ins nächste Jahrtausend begleiten wird. Manche nennen sie auch «Wissensgesellschaft". Oder war es doch «Kommunikationsgesellschaft»? Was auch immer: Wir leeren das durchs World Wide Web bescherte Füllhorn von Information in uns hinein und nutzen die dadurch entstandenen Kommunikationschancen voll. Wirklich? Die Realität entspricht viel eher dem Schauspielerwitz. Schauen wir daher diese wichtigen Bausteine unserer Wirtschaft realistisch an.

Information: Relevantes Wissen
Der vielseitige Renaissancemensch konnte sich noch der Illusion hingeben, durch Studieren erkennen zu können, «was die Welt im Innersten zusammenhält». Der Ausschnitt des Universums, den er kannte, war seiner Meinung nach ergründbar. Seinem Wissensdurst und den Bildungsbemühungen der Aufklärer im 18. Jahrhundert lag bereits die Entdeckung ferner Erdteile zugrunde, und damit war es schwieriger geworden, das Streben nach Wissen zu befriedigen, denn es gab schon zuviel davon. Am Ende des 20. Jahrhunderts scheint es fast rührend, dass man noch im 18. der Meinung war, durch Lernen und Austausch dem vorhandenen Wissen beikommen zu können. Das «Bildungsbürgertum» des 19. und 20. Jahrhunderts hat diese Meinung nachdrücklichst vertreten, was sich leider heute noch in unserem Schulwesen und unserer Auffassung von Weiterbildung manifestiert. Vergessen Sie das, wenn Sie in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts Ihren Platz behaupten wollen! Dem vorhandenen Wissen ist nicht mehr mit ein paar Seminaren beizukommen; in der Ihnen über www gratis angebotenen Informationsfülle werden Sie schnell einmal zu einer Vermisstenmeldung Anlass geben, weil Sie darin verloren gegangen sind. Wenn Management-Altguru Peter Drucker proklamiert «Wissen wird Macht!» meint er nicht, dass Sie diesem Wissen hinterherkeuchen, sondern dass Sie die Bedeutung von Know-how ergründen sollen: Wissen, wie Sie zu dem Wissen kommen, das Sie brauchen, wenn Sie es brauchen. Insofern sind Sie dem egomanischen Schauspieler nicht unähnlich: Auch Sie wollen nur das wissen, was für Sie relevant ist. Information an sich ist ohne Wert. Sie wird erst zu Wissen, wenn Sie sie in den richtigen Kontext stellen können. Dazu braucht es ein anderes Koordinatensystem. Zum einen ist Ihre Innovationsfähigkeit gefragt: Welche neuen Kanäle haben Sie entdeckt, wo die für Sie wichtige Information fliesst? Wer ist unersetzlich, wenn Sie neue Information brauchen bzw. verarbeiten müssen? Hier kommt das andere Schlagwort ins Spiel: Kommunikation. Aber die beginnt ganz woanders ...

Zuhören und kommunizieren
Wenn Sie nur über sich reden, erfahren Sie wenig Neues. Schliesslich kennen Sie sich schon länger, oder? Zuhören, was andere Ihnen mitzuteilen hätten, wenn Sie sie liessen, wäre ein guter Anfang. Zuhören bedeutet, das, was gesagt worden ist, aufzunehmen, in einen vertrauten Kontext einzubauen - und dann vielleicht als Antwort eine Frage zu formulieren. Stellen Sie sich vor, Sie würden das Gesagte so interessant, neu, faszinierend finden, dass Sie von Ihrem Gegenüber mehr darüber wissen möchten. Damit schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Ihr Gegenüber fühlt sich ernst genommen, und Sie erfahren mehr, erweitern Ihr Wissen, können neue Information in gewohnte Kontexte stellen und Ihr Know-how vermehren. Die mündliche Kommunikation geschieht nicht mehr in wünschenswertem Ausmass. Teilweise ersetzt wird sie durch Handy und E-Mail - zwei in sich segensreiche Einrichtungen, die man jedoch richtig nutzen muss. Übers Handy zu reden, ist ziemlich unerfreulich. Selten ist etwas so gründlich missverstanden worden. Dass Menschen sich freiwillig in das neue Versklavungssystem der totalen Verfügbarkeit begeben, gehört zu den Phänomenen unserer Zeit. Die E-Mail hätte Potenzial, würde sie richtig eingesetzt. «Zuhören» bzw. lesen, was andere zu sagen haben, und darauf antworten, das wäre die Idee gewesen. Was ist daraus entstanden? Hunderte ungelesener E-Mails, eine Flut unerwünschter Werbebotschaften und dieselbe «I-myself-and-me»-Philosophie bei wie unserem Schauspieler. Allerdings ist auch das Gegenteil keine Lösung: Wenn Sie irgendwo nach der E-Mail-Adresse fragen und es heisst: «Doch, wir haben E-Mail - wie war noch die Adresse?» oder ein Kadermitglied sagt: «E-Mail? Fragen Sie meine Sekretärin, die befasst sich damit» -, dann wissen Sie, dass das Kommunikationszeitalter dort noch nicht begonnen hat. Kommunikation braucht mehr EQ als IQ, setzt sowohl Interesse an anderen als auch die Kunst des Zuhörens voraus.

Quelle: Dr. Monique R. Siegel ist als Zukunftsforscherin und Innovationsberaterin in Feldmeilen tätig. (http://www.siegel.ch)