Humankapital: Jetzt erst recht!

niv.-Prof. Dr. Christian Scholz & Dr. Volker Stein
März 2005


Hintergrund: Humankapital als vermeintliches "Unwort"?
Der Kabarettist Robert Gernhardt reimte nach der Bekanntgabe der Wahl von "Humankapital" zum Unwort des Jahres 2004 am 18. Januar 2005 in den ARD-Tagesthemen: "Ich stehe vor der Qual der Wahl / was meint das Wort Humankapital? / Ist es banal, phänomenal, / global, fatal, irrational, / ist's liberal, ist's epochal (...)?" Ein typisches Beispiel von Ignoranz, das das Dilemma deutlich macht: Anstatt das Wort im Kontext der Unternehmensentwicklung zu betrachten, wird die Trivialgleichung "Human + Kapital = Messung von Persönlichkeit in Euro = moralisch fragwürdig" aufgestellt. Der dahinter stehende Denkansatz ist Folgender: Es sei verwerflich, den Mitarbeiter als ökonomischen Faktor anzusehen. Wer das tut, sieht Menschen eben nicht als ganzheitlich-soziales Wesen! Ihm geht es nur ums Geld und nicht - wie dem Sprachenforscher Professor Schlosser als Präsident der Unwort-Wahljury - um das Gute und Schöne. Und schließlich seien es Berater wie McKinsey oder BCG, die über so böse Mechanismen wie "Gemeinkostenwertanalyse" und "Übergewinn pro Mitarbeiter" Arbeitsplätze vernichten und die "Freisetzung" von Mitarbeitern anzetteln. Diese Darstellung ist einfach, passt gut in geliebte Denkschemata, nur leider ist an diesen Überlegungen so ziemlich alles falsch, was falsch sein kann. Hier wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Wer dieser Argumentation folgt, der ist nahe dran, die gesamte ökonomische Denke in den Mülleimer der Geschichte zu werfen! Problem: Der Humankapital-Ansatz als mitarbeiterorientierte Personalarbeit wird aus Unwissenheit und Ignoranz diskreditiert Eine auf diese Weise den Begriff Humankapital denunzierende und diskreditierende Diskussion ist unverantwortlich und sogar schädlich für den Standort Deutschland. Richtig ist allenfalls, dass das Wort Humankapital zur Zeit wieder etwas mehr in den Vordergrund rückt, wenngleich es in der betriebswirtschaftlichen Fachpresse seit über 20 Jahren bereits ein geläufiger Fachausdruck ist. Falsch aber ist, dass es hier um Kostenreduktion und um Entlassungen geht. Ganz im Gegenteil! Bereits die EU hat das Wort "Humankapital" damals eingeführt, um auf die Bedeutung von Wissen und Fähigkeiten hinzuweisen. Noch weiter gehen Organisationen wie der Human Capital Club, die sich bewusst auf die Fahnen geschrieben haben, den wirklichen Wert der Mitarbeiter als Kapital hervorzuheben. Schließlich gibt es aus dem Bereich der Unternehmensbewertung deutliche Tendenzen, den Wert eines Unternehmens nicht nur an leicht nachweisbaren Werten wie Grundstücken festzumachen, sondern auch an den immateriellen Werten wie "Markenwert" und (allerdings noch zögerlich) "Humankapitalwert". Genau davon aber können Mitarbeiter profitieren, da sie dann nicht nur Kostenfaktor sind, sondern einen schützenswerten Wert darstellen. Falsch ist auch, dass gerade Beratungsunternehmen wie McKinsey sich bereits intensiv mit einem derartigen Humankapital beschäftigen. Ganz im Gegenteil! Heute hat man als Berater sehr schlechte Karten, wenn man gegen Massenentlassungen argumentiert und zu diesem Zweck auf die Bedeutung von Humankapital hinweist. Denn man bekommt - etwas vereinfacht ausgedrückt - als Feinde sofort den Finanzvorstand (der Personalkosten reduzieren will) und den Personalvorstand (der das Wort "Humankapital" nicht für angemessen hält). Falsch ist schließlich, dass die Personalmanagement-Forschung und -Lehre von der Idee beseelt ist, Humankapital ökonomisch zu bestimmen und zu bewerten. Dies sieht man beispielsweise an der personalwirtschaftlichen Fachpresse, wo sich 99,99% aller Autoren gegen die ökonomische Bestimmung des Humankapitalwertes wehren und es Chefredakteure gibt, die bereits die Einführung eines Summenzeichens argwöhnisch diskutieren. Letztlich ist also die Bewegung zu "Humankapital" als ökonomische Argumentationsbasis der Personalarbeit alles andere als der gängige Trend, sondern eher ein Minderheitsvotum - und dennoch im Kern eine Argumentation "pro" Mitarbeiter. Angemessene Reaktion von Unternehmen: Festhalten an der Humankapital-Idee!
Warum nicht offensiv über Humankapital sprechen? Warum nicht der monetären (negativen) Argumentation der "Personalkosten" eine monetäre (positive) Argumentation des "Humankapitals" entgegensetzen? Nachfolgend zehn Thesen, die den konstruktiven Kern der aktuellen Humankapital-Diskussion verdeutlichen:

  • Es ist völlig unsinnig, wenn Unternehmen in ihrem Anspruch und Bekenntnis "Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital" ernstgenommen werden sollen - aber niemand kennt dieses Kapital.

  • Humankapital ist ein betriebswirtschaftlicher Fachbegriff aus dem Personalmanagement mit Bezug nicht auf eine Person, sondern auf ein Unternehmen. Humankapital sollte dann auch ermittelt werden können: als ein Euro-Betrag, bezogen auf die gesamte Belegschaft.

  • Mitarbeiter brauchen bei aller Skepsis keine Angst davor zu haben, als Individuen herabgesetzt zu werden: Über den Wert einzelner Mitarbeiter sagt ein Humankapital "in Zahlen" primär nichts aus. Dies ist bei seriöser Ermittlung bereits aufgrund der Heranziehung unternehmensweit aggregierter Einflussgrößen (wie etwa "Personalentwicklungsaufwand") nicht möglich.

  • HCM ist Aufgabe des strategischen Personalmanagements, bei der ausgehend von einem klaren Bekenntnis zu den Mitarbeitern als Erfolgsfaktoren konkrete Kennzahlen ermittelt werden, die dann durch konkrete Aktivitäten gesteigert werden.

  • Humankapital sieht die Menschen im Unternehmen nicht menschenverachtend als ökonomisierbare Masse, sondern als Wert und Erfolgsfaktoren des Unternehmens - und gerade nicht mehr nur als Verursacher von Kosten.

  • Die Kenntnis des Humankapitals und seiner Entstehung ermöglicht strategische Steuerung in der Personalarbeit, es lassen sich aus ihr konkrete Aktionen ableiten.

  • Die Kenntnis des Humankapitals ermöglicht unternehmensintern die Betonung von Stellenwert und Aktivitäten des Personalmanagements und deren Vergleichbarkeit mit anderen betriebswirtschaftlichen Funktionen.

  • Die Kenntnis des Humankapitals ermöglicht Unternehmen erst die externe Berichterstattung zur praktizierten Personalarbeit.

  • Mitarbeiter können die Entwicklung des Humankapitals ihres Unternehmens verfolgen und ihre persönlichen Chancen darin erkennen. Zudem dürften manche Managemententscheidungen (Entlassungen, Outsourcing) für Mitarbeiter günstiger ausfallen, wenn eine Humankapitalbestimmung zum Einsatz kommt.

  • Die Denkwelt des Humankapital-Managements bringt eine Fülle von Chancen für alle Beteiligten und Betroffenen mit sich, denen nur wenige Risiken entgegen stehen.

Insgesamt ist man sich im Personalmanagement - trotz aller Unwort-Diskussionen - zunehmend einig darüber, dass Mitarbeiter nicht allein als Kostenfaktor gesehen werden sollten: Sie sind vor allem auch eine Investition des Unternehmens und besitzen einen ökonomischen Wert. Dieses "Humankapital" lässt sich - wie andere materielle und immaterielle Vermögensbestandteile von Unternehmen auch - in Geldbeträgen ausdrücken. So hat das Institut der Autoren die "Saarbrücker Formel" entwickelt, mit der Humankapital in Unternehmen gemessen werden kann. Unternehmen wird damit die Möglichkeit geboten, ihr Personalmanagement strategisch zu steuern und verantwortungsvoll zu gestalten. Bewertung: Die Beschäftigung mit Humankapital ist ohne sinnvolle Alternative! Im Personalmanagement meint der Begriff "Humankapital" den Wert der Mitarbeiter im positivsten Sinne. Die Alternative zu einer Messung des Humankapitals kann nicht darin bestehen, dass Unternehmen weiterhin in Hochglanzbroschüren fadenscheinige Bekenntnisse wie "Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt" abdrucken, die sich jeder Kontrolle von außen entziehen. Wenn ständig betont wird, dass die Menschen das Kapital in einer Wissensgesellschaft sind, dann sollte es Unternehmen auch möglich sein, dieses Kapital in Zahlen zu fassen und damit zu argumentieren! Zwar ist ein dilettantischer Umgang mit Ermittlung und Steuerung des Humankapitals abzulehnen. Doch genauso abzulehnen ist eine dilettantische Personalarbeit insgesamt, die ihre Mitarbeiter in menschenverachtender Weise behandelt und nach Gutdünken entlässt, nur weil sie eine sinnvolle, langfristige ausgerichtete Steuerung der Investitionen in ihre Mitarbeiter nicht realisiert. Das angemessene Steuerungsinstrument ist hier die Humankapital-Erfassung und -Optimierung: die Alternative zur Denkhaltung "Mitarbeiter als Kostenfaktor". Fazit: Humankapital - jetzt erst recht!
Natürlich würden es viele schön finden, wenn wir alle eine 100%ige Versorgungsgesellschaft mit Stammplatzgarantie in der Arbeitswelt hätten - nur das ist ein unrealistisches Wunschbild. Nur: Bereits heute baden die Millionen Arbeitslosen und die tausend Menschen, die jeden Monat freigesetzt werden, es aus, dass man sie zwar "würdevoll", aber eben nicht wirklich "ökonomisch" betrachten soll - wobei doch gerade die Humankapitaldiskussion es endlich schaffen könnte, es ökonomisch zu begründen, Mitarbeiter eben nicht zu entlassen. Vielleicht hätte man sogar durch die Wahl von Humankapital zum Wort des Jahres die Chance nutzen können, ein positives Signal zu setzen, denn in der Diskussion um den "Standort Deutschland" und um die Wissensgesellschaft sind die Menschen das Kapital!

Quelle: www.org-portal.org